Nardas Lied

Kapitel 20
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20. Entscheidung
Borgun hatte mit Mertens Hilfe ein kleines Wunder bei der halb verfallenen Dorfkirche und dem kleinen Pfarrhaus vollbracht. Engelbert hatte, immer auf der Hut, um nicht von Ardin entdeckt zu werden, die Materialien beschafft und auch mit angefasst. Der Inquisitor besichtigte zusammen mit Marie ihr neues Reich und beide lobten das Meisterwerk.
Jando war nach Goselar geritten und hatte den Pfarrer aufgesucht. Er hatte ihn gebeten, die Kirche einzuweihen und die Trauung zu vollziehen.
Am Sonntag war es so weit. Marie wartete mit ihren Eltern vor der Kirche, Ardin, in einem Gewand, das sie für ihn genäht hatte, stand in züchtigem Abstand daneben. Die Gauklertruppe und alle Dorfbewohner standen bereit. Der Goselaer Pfarrer reiste luxuriös an: Eine zweispännige Kutsche näherte sich der Kirche und Ardin schritt ihr entgegen.
Ein Reiter folgte der Kutsche im schnellen Galopp. Er schrie etwas Unverständliches und Borgun warf sich vor Ardin, Jando sprang vor, um Narda zu schützen. Keine Sekunde zu früh: Vier Männer sprangen aus der Kutsche und schossen sofort ihre Bolzen ab. Auch der Kutscher ergriff seine Armbrust und schoss.
Die Bauersleute stoben auseinander. Bardo warf eine Kugel nach dem Kutscher, was den zusammensinken ließ. Borgun sprang auf und strecke einen der Schützen mit einem Fausthieb nieder, packte den Zweiten an der Kehle, bevor er seine Waffe wieder spannen konnte. Jando griff sich die Waffe des Kutschers und schlug sie dem dritten Angreifer über den Schädel.
Auch der vierte Schütze bekam keine Gelegenheit zum Spannen. Nerissa hatte nur auf einen Punkt an seinem Hals gedrückt und er kippte zur Seite.
„Wurde jemand getroffen?“, rief Bardo.
Niemand antwortete, doch Nerissa rannte los: Ardin kniete am Boden, über Marie gebeugt. Ihr Hochzeitskleid war nicht mehr weiß. Die Heilerin sah, wo der Bolzen steckte und wusste, dass sie nichts mehr tun konnte. Marie war tot. Ardin weinte, vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben. Er hatte gerade erst gelernt, zu lieben, nun musste er es lernen, zu trauern.
Bardo ließ ihm dazu nicht viel Zeit. Er rief „Es kommen bestimmt noch mehr, wenn nicht gleich, dann spätestens morgen. Ardin, du hattest als Inquisitor das Recht, Todesurteile zu verhängen. Das dürfte verfallen sein, denn sie haben auch dich angegriffen. Trotzdem kannst du bestimmen, ob der Mörder deiner Braut sterben soll. Borgun kann sie alle im Fluss ersäufen, du brauchst es nur zu sagen!“
Ardin öffnete den Mund, setzte zu einem „ja“ an, doch er schloss ihn wieder, bevor es vollendet war, und schüttelte langsam den Kopf.
„Spann mir eine Armbrust, bitte“, sagte er nach einem Moment. Der Bolzen in Maries Brust hatte einen blauen Ring, das gleiche Blau war auf dem Wams des ersten Schützen zu sehen. Borgun brachte den Mann mit zwei Backpfeifen zu Bewusstsein, dann reichte er Ardin die Waffe.
„Wer ist euer Kommandeur?“, Ardin ging langsam auf den Mörder zu, die Armbrust auf dessen Herz gerichtet.
Schritt für Schritt kam er dem Soldaten näher. „Ich werde dich nicht verfehlen. Sprich, wenn du leben willst!“
In seiner Stimme lag Entschlossenheit und Zorn. „Sprich jetzt oder fahr zur Hölle!“
„Der Befehl kam von unten. Wir mussten gehorchen, du bist vogelfrei“, wimmerte der Soldat.
Ardins Finger lag auf dem Abzug. Einen Moment ging es ihm durch den Kopf, dass er ja auch seine Befehle ausgeführt hatte, sich niemals gefragt hatte, ob sie richtig waren oder falsch. Doch sein Zorn war groß genug, um den Abzug durchzudrücken. Dann körte er es, Narda sang und Ardin fühlte, dass er kein Mörder war, dass er kein Leben nehmen wollte.
Er richtete die Waffe auf die Kirchentür und der Bolzen schlug in sie ein.
Bardo entlockte dem eingeschüchterten Soldaten einige weitere Informationen, dann überließ er ihn und die anderen Soldaten Borgun, der ihnen einen Trank von Nerissa einflößte und sie fesselte.
Der Meister kommandierte: „Wir müssen uns beeilen: Vier in die Kutsche, Borgun, lenkt. Wir holen unsere Sachen aus dem Lager vor dem Dorf, dann müssen wir weg von hier. Nerissa, Engelbert, ihr reitet zusammen auf dem Pferd. Wir treffen uns in der Tanne! Los jetzt!“
„Ihr habt mich die ganze Zeit belogen!“, sagte Ardin zu Jando während der Fahrt, „Engelbert ist am Leben!“
„Ja“, antwortete Jando, „so lange wir deiner nicht sicher waren, hätte es Engelberts Leben in Gefahr gebracht, wenn du gewusst hättest, dass er auf unserer Seite steht.“
Die Truppe zog eilends weiter, vermied die nächsten Dörfer und bewegte sich abseits der befestigten Wege. Nerissa und ihr Freund hatten sie eingeholt. Engelbert besorgte regelmäßig zu Pferd Proviant. Das Zeichen an seinem Umhang sorgte dafür, dass er überall etwas bekam, aber er war vorsichtig geworden, er wusste nicht, ob vielleicht auch er schon gesucht wurde.
„Was ist das mit deinem Lied, Narda“, fragte Ardin.
„Meine Mutter hat mich das gelehrt. Mein Gesang bringt Menschen dazu, ruhig zu werden, Zorn abzulegen und zu glauben, was ich ihnen sage.“
„Könnt ihr das alle? Hat Nerissa mich so zum Verräter gemacht?“
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