17. Das Bündnis
Ardin Gefühle gerieten völlig durcheinander. Sein Leben war von Logik beherrscht gewesen, vom Befolgen der Befehle. Er kannte Freundschaft und Kameradschaft. Dass er auch Ehrgeiz besaß, war in seiner Welt schon ungewöhnlich. Für Lust und Befriedigung gab es das Stirnband und die große Weisheit. Die Nähe zu Marie hatte Empfindungen geweckt, die er nie gekannt hatte. Er war aber klug genug, um zu begreifen, dass es sehr dem ähnelte, was ihm im Kloster das Stirnband bescherte, das Gefühl des Einsseins, des Verschmelzens.
Für Marie war er ein attraktiver Mann. Vielleicht spielte seine Macht als Inquisitor eine Rolle, doch ihr gegenüber war er fast unbeholfen. Er lag ihr zu Füßen. Sie mochte ihn wirklich und wollte ihn zum Mann.
Nerissa besprach sich mit Bardo.
„Glaubst du wirklich, dass wir ihm jemals vertrauen können?“, fragte er.
„Er ist Wachs in Maries Händen. Für sie wird er alles tun“, antwortete sie, „er hat gemerkt, dass echter Sex besser ist als die Illusionen, die ihm die große Weisheit einflüstert.“
Jando und Finn erreichten Mardenach am nächsten Abend. Borgun kam erst am nächsten Morgen dazu. Der große Mann zitterte und konnte kaum sprechen.
Die Frage, „ist Narda hier?“, war das Einzige, was er heraus bekam.
Erst als Nerissa ihn beruhigt hatte, konnte er berichten, dass Narda ausgerissen war und sich stellen wollte.
Ein junger Mann rannte auf sie zu. Nerissa erkannte ihn als Ardins Retter.
„Ihr müsst mir helfen! Narda ist gefangen worden“, sagte er keuchend.
„Wer bist du?“, fragte Jando.
„Mein Name ist Merten. Narda ist mir versprochen. Ich weiß, dass ihr sie schützen wollt, und ich will das auch, um jeden Preis! Ich bin dem Inquisitor gefolgt und dann euch.“
Jando blieb der Mund offen stehen. Er erinnerte sich, dass Engelbert von einem Verfolger gesprochen hatte. Dieser Bursche hatte erstaunliche Fähigkeiten.
„Wo ist Narda?“, fragte er.
„Wachen des Fürsten haben sie erwischt und nach Goselar gebracht. Sie haben Narda in den Kerker gesperrt. Sie wird ständig bewacht und allein kann ich gegen so viele nichts ausrichten.“
Bardo sprach: „Wir brauchen Ardin. Soldaten müssen einem Inquisitor gehorchen. Nerissa, erzähle ihm so viel wie nötig und bitte ihn um Hilfe!“
„Es muss schnell gehen!“, sagte Merten, „ich weiß, dass sie schon Boten zum Fürsten geschickt haben, und der wird sich nicht lange bitten lassen.“
Bardo nickte. Die Heilerin zog sich zurück, die anderen überlegten einen Schlachtplan.
„Engelbert, du reitest voraus. Ardin glaubt, dass du tot bist, und das sollte besser so bleiben. Behalte ihn und uns aber im Auge. Falls er ein falsches Spiel versucht, weißt du, was zu tun ist“, befahl der Meister.
Während sie auf Nerissa warteten, befragte Jando Borgun nach dem Stirnband. Es tat dem Hünen gut, über etwas ganz Sachliches zu sprechen. Er erklärte, dass Narda das Band mit ihm repariert hatte, dass sie es aber noch nicht ausprobiert hätten.
„Vielleicht hilft es uns“, sagte Bardo, „leg es an Jando, nur ein paar Sekunden, wir nehmen es dir dann wieder ab!“
Der Gaukler nahm es vorsichtig in die Hand, drehte es so, dass der Edelstein vorn lag und die Metallscheiben innen auf seine Schläfen gerichtet waren. Zögernd legte er das Band um seinen Kopf. Bardo beobachtete das Geschehen mit scharfen Augen. Er sah, wie sich Jandos Züge veränderten, wie sie von mit Fröhlichkeit übertünchter Sorge wechselten zu einem neutralen, fast entrückten Gesichtsausdruck. Er atmete langsamer als sonst. Bardo hatte genug gesehen und nahm ihm das Stirnband ab.
„Was ist geschehen?“, fragte der Meister.
Jando reagierte nicht gleich, Borgun setzte an, den Gaukler mit einer Ohrfeige ins hier und jetzt zurückzuholen, aber Bardo hielt ihn zurück. Langsam normalisierten sich Jandos Züge und Bardo wiederholte seine Frage.
„Da war Musik! Ich hörte Klänge, die mich glücklich machten. Auch eure Stimmen habe ich gehört, aber das war alles in mir, ich hörte es nicht mit den Ohren. Das muss verrückt klingen!“
Bardo nickte. „Nein, verrückt ist das nicht. Wir werden das noch weiter erforschen. Ich glaube, es kann der Schlüssel sein, um Ardin wirklich zu unserem Verbünden zu machen.“
„Du denkst, dass Nerissas Gesang und Maries Zärtlichkeit nicht genügen?“, fragte Jando, nun wieder angespannt.
Der Meister entgegnete: „Ich glaube, dass Nerissas Plan so weit aufgeht, dass Ardin uns hilft, Narda zu befreien. Aber ja, ich fürchte, er wird sich wieder an seine Pflichten erinnern, so bald er die Möglichkeit hat.“
Borgun brachte zu bedenken: „Er darf auf keinen Fall in eine Kirche gehen. Und vielleicht gibt es auch an anderen Orten diese Gedenktafeln!“,
Merten hatte alles beobachtet und mit angehört, nun mischte er sich ein. „Wie ist euer Plan und was kann ich beitragen?“
Bardo erklärte: „Wir brechen auf, sobald Nerissa und Ardin bereit sind. Borgun spielt den Leibwächter von Ardin, Jando erklärt spielt den Vater von Narda, Nerissa ihre Mutter, Finn spielt ihren Bruder. Wir anderen sind nur zufällig auf demselben Weg. Du Merten, bist ein kluger Bursche, wie es scheint. Du kannst für Verwirrung sorgen, wenn wir sie brauchen.“
Er fuhr fort: „Wenn alles nach Plan geht, holen wir Narda einfach ab. Die Soldaten werden kuschen, sie fürchten die Kirche! Wenn Ardin befiehlt, sagt, dass sie unschuldig ist und zu ihren Eltern gehört, dann müssen sie sie gehen lassen.“
„Aber wird Ardin Narda und uns wirklich gehen lassen?“, fragte Merten.
Der Meister antwortete leise: „Ardin ist verliebt und das ist für ihn ein überwältigendes Erlebnis. Wenn Nerissa recht hat, wird er Wort halten.“
„Und wenn nicht“, fügte er grimmig hinzu, „wird Engelbert tun, was getan werden muss“.
1
1