Nardas Lied

Kapitel 16
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16. Ein falscher Schritt
Nardas Entschluss hatte festgestanden, als sie sich wieder hingelegt hatte: Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Menschen ihretwegen verletzt wurden oder gar starben. Als Borgun angefangen hatte zu schnarchen, hatte sie sich vorsichtig erhoben, ihren Rucksack ergriffen und sich davon geschlichen. Sie hatte im Mondlicht den Weg gefunden, auf dem sie gekommen waren, aber schließlich konnte sie nicht mehr wachbleiben. Erschöpft schlief sie an einem Baumstamm ein.
Nerissa hatte ihr beigebracht, wie sie im Wald überleben konnte. Wertvolle Lektionen, die jetzt zum Tragen kamen. Narda trank Tau von Blättern und suchte nach essbaren Beeren, dann setzte sie ihren Weg fort. Trotz ihres guten Gedächtnisses war sie sich bald nicht mehr sicher, ob sie noch auf dem richtigen Weg war, dem Weg zurück. Eichen, Buchen, Erlen und alle anderen Bäume, die sie kannte, standen hier, wieder und wieder. Sie musste sich eingestehen, dass sie sich verirrt hatte. Doch sie ging weiter. Die Flechten an den Bäumen gaben ihr eine ungefähre Richtung.
Schließlich fand sie einen ausgebauten Weg und wählte die Richtung nach links. Nun konnte sie schneller ausschreiten. Die Schatten der Bäume waren kurz geworden, als sie unbekannte Stimmen hörte. Drei Männer kamen ihr entgegen, doch es waren keine Dörfler mit Mistgabeln, es waren Soldaten, bewaffnet mit Armbrüsten.
Das Mädchen versteckte sich in den Büschen am Wegrand. Es mit wildgewordenen Bauern aufzunehmen, das traute sie sich zu, aber dies war eine ganz andere Aufgabe. Sie hoffte, dass man sie nicht gesehen hatte, und wagte kaum zu atmen. Die Männer gingen fröhlich pfeifend an ihrem Versteck vorbei.
Narda atmete auf, doch sie hatte sich zu früh gefreut: Einer der Soldaten hatte einen Bogen geschlagen und stand nun hinter ihr, die beiden anderen vor ihr, mit der Waffe im Anschlag.
„Was haben wir denn da?“, sagte der Anführer grinsend, „du ahnst nicht, wie sehr der Fürst sich nach dir sehnt!“
Narda öffnete ihren Mund, in diesem Moment wurde alles schwarz.
*
Das Mädchen erwachte auf einer Strohmatte in einem kleinen dunklen Keller. Durch einen schmalen Spalt an der Decke drang gerade genug Licht hinein, um nicht an die Wände zu stoßen. Ihr Kopf schmerzte und eine Beule am Hinterkopf zeugte davon, dass der Soldat sie niedergeschlagen hatte. Sie entdeckte einen Wasserkrug und ein Stück Brot, die neben der Matte lagen.
Narda war misstrauisch, doch ihr Körper forderte sein Recht ein. Sie musste etwas trinken und auch etwas essen. So gut es bei dem wenigen Licht möglich war, erkundete sie den Raum. Die einzige Tür war von außen verriegelt, innen gab es weder ein Schloss noch ein Schlüsselloch. Die Türangeln waren außen, das Luftloch oben war unerreichbar hoch. Ein Eimer für die Notdurft stand noch in der Ecke. Hier war nichts, was ihr helfen könnte, sich zu befreien.
Es gab nur eine Möglichkeit, ihr Lied! Sie bestärkte sich mehrmals, dass sie jeden in ihren Bann ziehen konnte, sie würde auch einen Soldaten dazu bringen können, sie frei zu lassen, ja wenn es nötig wäre, ihr den Weg frei zu schießen.
Den letzten Gedanken schob die schnell beiseite. Sie wollte nicht, dass jemand stirbt, auch keiner von diesen Kerlen. Sie musste einen nach dem anderen verzaubern.
Stunden später öffnete sich die Tür. Eine alte Frau schaute durch die Tür und stellte frisches Wasser und Brot hinein. Narda begann ihr Lied, sang es mit Inbrunst, doch die Frau sprach nicht darauf an, ging wieder hinaus und verriegelte die Tür, sie schien es gar nicht zu hören. Aber Narda hörte etwas: das verächtliche Lachen eines Mannes hinter der Tür.
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