Nardas Lied

Kapitel 15
Schriftgröße

15. Gehversuche
Bardo hörte Hufgetrappel. Er hielt sich versteckt, bis er Engelbert erkannte.
„Sie haben Fersengeld gegeben“, berichtete der.
„Gut, aber nun glauben sie noch mehr an Hexerei! Wir müssen uns in Acht nehmen.“
„Vielleicht hätten wir alle töten sollen!“, antwortete der Reiter. Dann half er Bardo, zu ihm aufs Pferd zu steigen.
Sie ritten so schnell, wie es zu zweit möglich war, und erreichten Mardenach wenige Stunden später. Auf den vereinbarten Eulenschrei hin kam Nerissa zu ihnen hinter das Bauernhaus.
„Gott sei dank, ihr seid da!“, rief sie.
Engelbert stieg ab und half Bardo herunter. Nerissa und er umarmten sich.
Der Meister erklärte: „Wie mussten uns aufteilen, die anderen sollten morgen oder übermorgen eintreffen. Was ist mit dem Pfaffen?“
„Ich muss ihm endlich die Schienen abnehmen, sonst macht er es selbst. Gut ist, dass sich die Tochter des Bauers um ihn kümmert. Ohne sein Stirnband fehlt ihm was, und er scheint langsam zu merken, was es ist!“
Bardo nickte anerkennend. „Das hört sich gut an, aber wir haben nicht viel Zeit. Wenn er wieder laufen kann, wird er einen Weg finden, seine Leute zu erreichen.“
„Er sollte Nardas Lied hören! Sie kann das besser als jeder von uns.“
„Ja“, bestätigte der Meister, „aber das ist sehr gewagt. Wenn es nicht gelingt, bleibt uns nur, ihn zu töten!“
Nerissa nickte. „Das sollte das Mädchen besser nicht erfahren!“
Sie und Engelbert verabschiedeten sich und gingen in Richtung der Scheune. Bardo suchte den Bauern und wechselte einige Worte mit ihm.
*
„Wie geht es euch, Herr?“, Nerissa trat an Ardins Bett.
Der Inquisitor antwortete mürrisch: „Schlecht geht es mir! Ich habe eine Aufgabe zu erfüllen und das kann ich nicht im Bett tun. Es sollte längst jemand hier sein und mich abholen!“
„Dann wird es euch freuen, dass ich euch jetzt befreie. Die gebrochenen Knochen werden geheilt sein. Aber gebt acht, ihr müsst euch erst wieder ans Gehen gewöhnen!“
Mit geübter Hand zerschnitt sie die Riemen, die seine Beine an die Stöcke fesselten.
„Vorsicht Herr, versucht langsam aufzustehen. Ich werde euch stützen“, sie zögerte, „wartet einen Moment, ich rufe Marie dazu, sie kann helfen.“
Nerissa rief nach der Bauerntochter, die sofort hereinkam. Ardin zog das Nachthemd herunter, um seine Blöße zu bedecken. Die beiden Frauen stellten sich an seine Seiten und halfen ihm aufzustehen.
Jede Bewegung schmerzte Ardin nach der langen Zwangsruhe, doch er spürte, dass die Brüche verheilt waren. Der Schmerz würde sich geben. Marie holte zwei Krücken herein, die ihr Vater gezimmert hatte.
„Damit wird es besser gehen“, sagte sie.
Ardin war trotz der Schmerzen glücklich, sich wieder bewegen zu können. Nerissa ließ ihn los, blieb aber bereit, jederzeit zuzugreifen. Der Inquisitor schaffte erste Schritte allein mit den Krücken.
„Ich weiß gar nicht, wie ich euch danken kann“, sagte er, „jedenfalls jetzt.“
„Es ist mein Beruf, Kranke und Verletzte zu heilen. Der Eure ist es, Ketzer und Hexen zu fangen und uns zu schützen. Ihr seid mir nichts schuldig, doch solltet ihr die Bauernfamilie für ihre Gastfreundschaft entschädigen, sobald ihr es könnt.“
Ardin entgegnete: „Wenn ich meine Leute erreicht habe, werde ich sie reich belohnen und dich auch.“
Nerissa gab sich bescheiden, wie es sich gehörte, doch wusste sie, dass sie bald einen Gefallen einfordern würde. Sie bat Marie, zu bleiben und ein wenig aufzuräumen, dann zog sie sich zurück.
Beim Gehen hörte sie Gekicher. Marie und Ardin verstanden sich gut. Nerissa hatte Marie angespornt, ihre Gefühle zu zeigen, hatte ihr erklärt, warum Ardin so unbeholfen im Umgang mit Menschen war und dass sie ihm helfen könne, zu lernen und zu lieben.
1
1